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BLANCA AMORÓS

Ästhetisch Unästhetisch. Oposites Attract

Text for the catalog of the exhibition "Dioskuren"
By Claudia Kreile


Ästhetisch Unästhetisch. Opposites Attract

 

„Sterbliche, ich bin schön! ein Traum aus Stein;

Mein Schoß, darin sie alle sich versehren,

Entzündet in den Dichtern ein Begehren,

Ewig und stumm wie unbelebtes Sein.“

 

Die Verse des französischen Lyrikers Charles Baudelaire aus dem Gedichtband Die Blumen des Bösen, veröffentlicht in den 1860er Jahren, beschreiben die Schönheit, aus Stein geschaffen, ewig und stumm, zwar nicht lebendig, aber dennoch begehrt. Die irdische Schönheit hingegen ist nicht von Dauer, sie neigt zur Vergänglichkeit und ist längst keine von Geburt angeborene Selbstverständlichkeit, vielmehr eine Sehnsucht der menschlichen Eitelkeit oder eine gesellschaftliche Erwartungshaltung. Die Realität des menschlichen Seins aber bewegt sich irgendwo dazwischen, und so lassen die Verse Baudelaires vieles anklingen, was im Oeuvre der spanischen Künstlerin Blanca Amorós evident wird.

 

Schön / hässlich, komisch / grotesk, elegant / vulgär, scharfsinnig / unbedarft – das sind Gegensätze, mit denen Blanca Amorós spielt. Aus diesen Ambivalenzen entsteht sowohl im Bild als auch in der Beziehung zwischen Werk und BetrachterIn eine Spannung, die fasziniert und herausfordert zugleich. Wo befinden wir uns in diesem Spiel aus Sehen, Beobachten, beobachtet werden, vielleicht sogar durch ein Schlüsselloch gucken?

 

„Ich will die BetrachterInnen zu Komplizen machen!“, erläutert Blanca Amorós ihre Strategie. Diese Komplizenschaft vermag die Rezipierenden in Verlegenheit zu versetzen, stehen sie vor der Werkserie Liebe und Leben eines einsamen Mannes von 2013 (Abb. 1). Es handelt sich um 23 kleinformatige Gemälde, teils quadratisch, teils rechteckig, das kleinste 8,4 cm x 8 cm, das größte 19,9 cm x 14 cm, gemalt in Ölfarbe auf Holzgründen oder Leinwänden variierender Stärke. Zunächst fällt die Hängung der Bilder auf: mosaikartig angeordnet sind sie über die Wand verstreut, komponiert wie eine Pin-Up Wall. Aus einem seitlichen Blickwinkel betrachtet wirken sie aufgrund der unterschiedlichen Tiefen wie ein Hochrelief. Das Ergebnis der lebenslangen Trophäenjagd und Sammelleidenschaft eines einsamen Mannes, wie der Titel anklingen lässt. Tatsächlich weckt das Display der Werke Assoziationen zu einer Wand, an der Repräsentatives aufgehängt wird, sie erinnern an Interieurs mit Delfter Kacheln oder Porzellan-Tellern als Wandschmuck.

 

Attraktive Frauen räkeln sich in lasziven Posen auf Betten, Stühlen, im Schlafzimmer oder im Bade. Sie tragen dabei fast nichts, bis auf ein paar wenige, zumeist erotisch konnotierte Accessoires. Einen großen Hut zum Beispiel, der das Gesicht eines begehrend sich präsentierenden Frauenkörpers verhüllt, einzig die Scham ist noch bedeckt von einer Frauenhand. Oder ein körperbetonter Stars-and-Stripes Bikini, eingefangen aus der Froschperspektive, ein Close-Up auf den Torso der Frau, markant zeichnen sich ihre Brüste ab, das Gesicht ist abgeschnitten. Von der ganzen Wand präsentieren sich gespreizte Beine, verführerische Schulterblicke, aufreizende Rückenansichten, Frauen in intimen Momenten, und die Frage drängt sich auf: sind das Studien aus dem Aktsaal der Kunstakademie? Oder der Einblick in das (Liebes)-Leben eines einsamen Mannes, der sich tagträumerisch in den erotischen Phantasien seiner Schlafzimmerwand verliert, auf die reale Liebe aber vergeblich wartet?

 

Sowohl Ikonographie als auch das voyeuristische Moment weisen Parallelen auf zu den Frauendarstellungen des amerikanischen Malers John Currin, der mit explizit pornografischen Momentaufnahmen provoziert. Als „Pictor Vulgaris“ thematisiert Currin die Schaulust an drastischen sexuellen Handlungen und erotischen Phantasien, Frauen werden dabei zu reinen Objekten oberflächlicher Attraktivität und Begierde stilisiert. Auch werden Assoziationen zu Marcel Duchamps Installation Etant Donnés: 1° la chute d’eau, 2° le gaz d’éclairage…(1944–46) geweckt. Duchamp behandelt den voyeuristischen Blick in eine erotisch-intime Situation deutlich subtiler. Hinter einer Backsteinmauer liegt ein weiblicher Torso auf dürre Zweige gebettet, die Beine gespreizt, in der linken Hand eine Öllampe haltend, vor dem Hintergrund einer Waldlandschaft mit Wasserfall. Der Kopf ist nicht zu sehen, lediglich eine blonde Locke deutet ihn an. Duchamp macht die MuseumsbesucherInnen zwangsläufig zu Voyeuren, da sie den Spalt in der Tür aktiv suchen müssen, um die Installation zu entdecken. Das Werk von Blanca Amorós bewegt sich zwischen der subtilen Vermauerung bei Duchamp und der expliziten Zurschaustellung des sexuellen Aktes bei John Currin. Auch eine Malerin des Vulgären setzt sie das Medium der Ölmalerei ein, um einen Kontrast zu erzeugen zwischen Realität und gemalter Darstellung.

 

Den dreiundzwanzig Gemälden gemein ist ein sepiafarbener Schleier, der die Bildsprache einer anderen Zeit vermuten lässt. Als Vorlage für die Werkserie dienen der Malerin Erotikhefte aus den 60er und 70er Jahren, die sie auf einem Flohmarkt in Spanien entdeckt hat. Anders als auf den Fotos der Magazine sind die Frauen auf den Gemälden nicht zu erkennen. Sie sind schnell gemalt, mit stark verdünnter Ölfarbe, so dass ein leger geschwungener Pinselduktus möglich ist. Die Posen, wie auch die Gesichter, sind skizzenhaft angedeutet, wodurch die Malerei sich zur Abstraktion bewegt. An manchen Stellen, beim Faltenwurf eines Shirts oder eines Tuches beispielsweise, setzt die Malerin einen bestimmten, pastosen Pinselstrich, der die Abstraktion einfängt und die Formen definiert. Dieses Wechselspiel lässt die Malerei lebendig werden und verleiht den Figuren eine lässige Eleganz. Die Farbpalette enthält neben pastellfarbenen Braun- und Grautönen, mit Nuancen ins Olivgrün oder Violett, frische Farben wie Himmelblau oder helles Krapplack. Es entsteht eine zeitgenössische Interpretation der vergilbten Vorlagen.

 

Im Gegensatz zu der Freizügigkeit, die in der Kunstgeschichte seit Gustave Courbets naturalistischer Nahsicht der weiblichen Vulva in Origine du monde von 1866 zum Kanon gehört, erscheinen die Motive dieser Erotikmagazine fast keusch. Vor allem in den 1960er Jahren habe die politische Lage der Diktatur Spaniens dazu geführt, dass auch Erotikmagazine sich bedeckt hielten, erläutert Blanca Amorós die Beobachtung.

 

Wie stößt sie auf diese Dinge, Zeugnis der Ambivalenzen menschlicher Existenz? Zufällig, doch dahinter steckt das aufmerksame Studium der sie umgebenden Welt; solange, bis ihr etwas Auffälliges – von tragikomisch über eigentümlich bis hin zu vulgär-grotesk – begegnet. Nichts und niemand sind dabei vor ihrer scharfsinnigen Beobachtungsgabe sicher. Mit Leichtigkeit und gelegentlicher Lust an der humoristischen Pointe bringt sie ihre Sujets auf die Leinwand. „Es ist wie mit den vergilbten Speisekarten von Touristenrestaurants am Strand, niemand achtet auf diese Geschmacklosigkeit“, erläutert die in einem Ort nahe der spanischen Mittelmeerküste geborene Spanierin ihre Auswahl. Sie fängt Momente der Irritation ein und macht sie sichtbar.

 

So auch in ihrer aktuellen Werkserie August-Dahlien. Ähnlich der Erotikmagazine, Fundstücke – objets trouvés – auf einem Flohmarkt, findet sie ihre Motive in einem alltäglichen Szenario, an einem spanischen Mittelmeerstrand im August. Mit einer Kamera ausgerüstet fängt sie Momente der Entspannung und des Loslassens im Urlaub ein. Was die Künstlerin an den Posen ihrer anonymen Modelle interessiert, ist die Schamlosigkeit, mit der sie ihre Körper zur Schau stellen. Im Gegensatz zur Serie Liebe und Leben eines einsamen Mannes handelt es sich nicht um die Inszenierung erotischer Posen junger und begehrenswerter Frauen sondern der Vergänglichkeit von Schönheit im Alter. Auch das Format wechselt. Diesmal sind die Figuren fast lebensgroß dargestellt. Zu sehen sind Menschen fortgeschrittenen Alters in Badebekleidung älteren Datums, wahlweise mit Sonnenbrille oder Sonnenhut, Kontrapost, die Hände in die Hüften gestemmt, den Bauch nach vorne gestreckt. Dabei lässt die Malerin Elemente der Karikatur einfließen, sie überzeichnet bewusst, die Falten werden tiefer, die Bäuche dicker, die Beine kürzer. Sie richtet die Aufmerksamkeit in diesen „anonymen Portraits“ schonungslos auf die Posen, die Gewöhnlichkeit der Menschen und die Zeitlichkeit von Jugend und Schönheit besonders unterstreichen.

 

Insofern können die Darstellungen in August-Dahlien auch als allegorisches Blumenstillleben interpretiert werden, als Symbole des Zyklus nicht nur des menschlichen Lebens, sondern der Natur an sich, von der Knospe zur welkenden Blüte, ein ephemeres Leben, erneuert durch den Kreislauf der Reproduktion. Die Blüte steht in der kunsthistorischen Tradition des Stilllebens nicht nur als Sinnbild für Vergänglichkeit, sondern auch für Sexualität, dient sie aus biologischer Sicht doch primär der Fortpflanzung. Und so schließt sich der Zyklus des von Blanca Amorós dargestellten Lebens, von jugendlicher Schönheit und erotischer Begierde zur verblühenden Attraktivität im Alter, ganz im Sinne der Fleurs du Mal, die das menschliche Streben nach ewiger Schönheit und ewigem Leben Lügen straft:

 

„Die Blumen schauern, da die Stunden nahn,

Wo Blütenhauch wie Weihrauch sich erhebt;

Ein Duft und Klang die Abendluft durchwebt;

Schwermütiger Walzer, sehnsuchtsvoller Wahn. […]

Schön wie ein Baldachin der Himmel schwebt."

 

Um abermals die Sublimierung des Vulgären zum Eleganten zu vollbringen, setzt Blanca Amorós die Ölmalerei als Transmitter sinnlicher und ästhetischer Erfahrung ein. Für die Serie August-Dahlien grundiert sie die Bildträger – Holz bzw. Leinwand – mit einer Imprimatur aus möglichst neutralen Sandtönen, um nicht von den Figuren abzulenken. Die Malerin erweckt die Menschen zu Leben, indem sie die Oberflächen von Haut und Badekleidung in raffinierter Schichtmalerei und dem virtuosen Zusammenspiel von Pinselstrichen verschiedener Breiten modelliert. Vor allem in dem Frauen-Gesicht (Abb. 3) wird die Plastizität sichtbar, die durch das Wechselspiel aus Durchscheinen und Überlagerung einzelner Farbschichten und Striche sowie durch das geschickte Setzen von Licht- und Schattenpunkten entsteht. Die leichte Rötung der Wange, die tiefen Furchen um Mundwinkel und Nasenflügel, Falten auf der Stirn und um das Kinn lassen die Fleischigkeit der massigen Frau lebendig werden. Sogar die Reflexion in den Gläsern der Sonnenbrille und das perlmutterne Schimmern des Ohrrings wirken echt. Die Haare, wild in eine Richtung wehend, sind in schnellem Pinselstrich ausgeführt und lassen den maritimen Wind erahnen.

 

Ähnlich der Blumen des Bösen gehen Schönes und Hässliches in August-Dahlien eine poetische Verbindung ein, hoher Stil verbindet sich mit schockierend hässlichen oder grotesken Sujets, und dadurch entsteht etwas, was Baudelaire le véridique genannt hat: das Wahrhaftige. Anders als das in Antike und Renaissance vorherrschende Ideal der vollkommenen Schönheit in der Kunst unterschlägt der in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende Realismus das Hässliche nicht, er nimmt es sogar explizit in den Fokus, als Zeichen von Moderne und Zeugnis der Wahrheit. „Le beau n’a qu’un type; le laid en a mille“, beschrieb Victor Hugo das Interesse der Realisten am Hässlichen. Nicht nur ist das Hässliche facettenreicher, es wird als Sujet in der Kunst, vor allem in der Porträtmalerei, auch dadurch interessant, dass die körperlichen Makel die Personen erst lebendig werden lassen. Aus Personen entstehen Persönlichkeiten mit Charisma und unverwechselbarer Individualität. Der den Realisten zeitgenössische Philosoph Karl Rosenkranz veröffentlichte 1853 die erste Kunsttheorie, die sich spezifisch mit der „Ästhetik des Hässlichen befasst. Darin sieht er das Hässliche als das Negativschöne, das sowohl das Schöne, als auch die Ganzheit der konkreten Existenz einbezieht, mitunter auch grimassierende Figuren. So schlägt er den Bogen zur Karikatur, einer Kunstform, in der das Hässliche ins Komische übergeht.

 

Ähnlich der Ästhetik der Realisten gelingt es der spanischen Künstlerin Blanca Amoròs, die Gegensätze, Diskrepanzen und Widersprüchlichkeiten der conditio humana malerisch zu visualisieren. Es ist ein virtuoses Spiel mit den Grenzkategorien des Schönen und Hässlichen, mit der besonderen Pointe, dass es gelegentlich ins Komische umschlägt.